Bau- und Nutzungsgeschichte

Georg-Schwarz-Straße 11

Das Haus in der heutigen Georg-Schwarz-Straße 11 und das Doppelhaus Merseburger Straße 102/104 wurden 1910 an den beiden Enden eines großen langrechteckigen Grundstücks errichtet (vgl. auch den Kartenausschnitt hier). Als erstes Gebäude war in der Mitte der Fläche ein in den Folgejahren mehrfach umgebauter und vergrößerter Kinosaal entstanden. Hier eröffnete Theodor Scherff, ein in Weimar ansässiger Pionier des Kinowesens in Deutschland, der unter dem Namen „Scherffs Bioskop-Theater“ mehrere Lichtspielhäuser in Sachsen und Thüringen sowie einen der ersten Film-Verleihe Europas betrieb, am 3. Juli 1910 ein Kino mit 333 Sitzplätzen.

Kurz zuvor, im Mai 1910, waren die Bauanträge für die beiden Vorderhäuser bei der Stadt Leipzig eingegangen und wenig später genehmigt worden. Gegenüber der historistischen Nachbarbebauung, die überwiegend schon einige Jahre zuvor, etwa zwischen 1900 und 1905, entstanden war, zeichneten sich die Häuser durch ihre Größe und die hohe Qualität der Ausgestaltung aus, die deutliche Anklänge an den Jugendstil zeigt.

Das Kino im Hinterhof konnte durch einen breiten Durchgang im Erdgeschoss von der damaligen Gundorfer (der heutigen Georg-Schwarz-)Straße aus erreicht werden. 1919 ging es von Scherff & Co. an den neuen Betreiber Alois Hecht über, der den Namen in „Central-Lichtspiele“ änderte und es mehrfach vergrößerte, zunächst 1920 auf 450 und 1940 auf ca. 800 Plätze. Das Kino, dass wegen einer zeitweisen Untervermietung an einen Altkleiderhändler unter dem Spitznamen „Flohkiste“ bekannt war, trug wesentlich zum Ruf der Gundorfer bzw. Schlageterstraße (Umbenennung durch das NS-Regime) als Einkaufs- und Amüsiermeile im Westen der Stadt Leipzig bei. Die Straße wurde spätestens ab den 1930er-Jahren „Reeperbahn“ und wenig später auch „Broadway“ genannt (mehr zur Geschichte der Straße bei Wikipedia).

In der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre waren das Kino und vor allem der Durchgang in der Schlageterstraße 11 einer der zentralen Treffpunkte der „Meute Reeperbahn“, einer der größten oppositionellen Jugendgruppen in Leipzig, die aus der stark kommunistisch und sozialdemokratisch geprägten Arbeiterschaft in Lindenau hervorging und aktiv Widerstand gegen das NS-Regime leistete (hierzu ebenfalls mehr bei Wikipedia).

Merseburger Straße 102/104

In der DDR wurden die Häuser durch die Kommunale Wohnungsverwaltung (KWV) der Stadt Leipzig bewirtschaftet. Die Konzentration des Wohnungsbaus in der DDR ab den 1960er-Jahren auf die Großwohnsiedlungen am Stadtrand, vor allem in Neulindenau und Grünau, und die damit einhergehende, auch ideologisch begründete Vernachlässigung der Gründerzeitquartiere traf auch diese und andere Häuser im Viertel. Die 1950 von den DDR-Filmtheaterbetrieben übernommenen „Central-Lichtspiele“ schlossen 1963 endgültig ihre Pforten.

Nach der Wiedervereinigung gelangte der gesamte Häuserkomplex in den Besitz der Familie Hecht zurück. Das ehemalige Kinogebäude sollte 1991/1992 in eine große Spielhalle mit Billardtischen und Daddelautomaten auf zwei Etagen umgebaut werden, doch wurde das Vorhaben vor der Fertigstellung abgebrochen. 1993 wurde mit einer – insbesondere bezüglich der Merseburger Str. 102/104 – wenig sensiblen Teilsanierung der beiden Vorderhäuser begonnen, bei der unter anderem originale Holztüren entfernt und vermauert sowie Kabelkanäle quer durch die fast 100 Jahre alten Ausmalungen des Treppenhauses gehackt wurden. In die Gewerberäume der Vorderhäuser und das zur Merseburger Str. 102/104 gehörende kleinere Hinterhaus zogen die Verkaufs- und Lagerräume der Reha-Service Hecht GmbH ein, von der noch die auffällige Werbung an der Giebelwand der Merseburger Straße 102 kündet. Dafür wurden sie komplett neu aufgeteilt und gestaltet und mehrere der hölzernen Wintergärten an der Rückseite der Merseburger Str. 102/104 für einen Lastenaufzug beseitigt.

Teile der Gewerbe- und Wohnräume wurden noch bis Anfang bzw. Mitte der 2000er-Jahre genutzt. Seither stehen die Gebäude leer und waren mehrfach von Vandalismus betroffen. So wurden z.B. noch während der Bauphase die neu eingebauten Kupferleitungen für Wasser und Heizung gestohlen, die originalen Schmuckfliesen in den Treppenhäusern abgeschlagen und die hölzernen Treppengeländer beschädigt. In einem gegenüberliegenden Bordell in der Merseburger Straße galt es als Freizeitspaß, die Scheiben in dem Doppelhaus mit dem Luftgewehr kaputtzuschießen.

Der Eigentümer bot den Gesamtkomplex, zu dem auch noch ein weiteres kleineres Gründerzeithaus an der Erich-Köhn-Straße 71 gehörte, ab 2008/09 für einen Gesamtpreis von 410.000 bzw. 450.000 Euro auf diversen Immobilienportalen im Internet an. Als Leute aus unserer Gemeinschaft zunächst 2008 das benachbarte Haus Georg-Schwarz-Straße 9 bezogen und dort den Kulturraum „hinZundkunZ“ aufbauten und der Verein kunZstoffe 2009 die Georg-Schwarz-Straße 7 im Erbbaurecht übernahm (siehe dazu auch die Seite über das „Bermudadreieck“), wurden wir natürlich schnell auf die leerstehenden Häuser aufmerksam. Zunächst versuchten wir, andere Initiativen dafür zu gewinnen, den Komplex zu erwerben und hier ein Wohn- und Kulturprojekt aufzubauen.

Eine größere Gruppe von Menschen, denen kurz zuvor das Haus für ein linkes Wohn-, Kultur- und Politprojekt in der Arno-Nitzsche-Straße 26 in Connewitz abhanden gekommen war (www.feierabendle.net/index.php?id=105), nahm unter dem Namen Arnie26 Ende 2009 Kaufverhandlungen mit dem Eigentümer auf, ließ erste Kostenschätzungen von Architekten und Bausachverständigen erstellen, gründete eine GmbH und wurde mit der Initiative Teil des Mietshäusersyndikats. Auf dem sogenannten Hecht-Gelände sollte Wohnraum für 60 Menschen entstehen, die Gesamtkosten für Kauf, Sanierung und Bankfinanzierung wurden auf 1.000.000 Euro geschätzt (www.syndikat.org/pro/arnie26/index.html). Letztlich scheiterten die Verhandlungen jedoch im Herbst darauf in erster Linie an den überhöhten Preisvorstellungen des Eigentümers. Mehrere Menschen aus dieser Gruppe bemühen sich danach mit neu Hinzugekommenen als Projektinitiative „Neues soziokulturelles Zentrum“ um einen Erwerb des alten Plagwitzer Rathauses. Leider scheiterte im Frühling 2012 auch dieses Vorhaben, da die Stadt Leipzig das Gebäude an den Meistbietenden, eine große Sanierungsfirma, veräußerte.

Als uns im Frühjahr 2011 bekannt wurde, dass die Stadt Leipzig Zwangsversteigerungen bei den einzelnen Flurstücken betreibt, haben wir uns relativ schnell entschlossen, den Ball der Arnie26 noch einmal selbst aufzunehmen. Im März 2012 konnten wir mit der Ende 2011 gegründeten GmbH die Merseburger Str. 102/104 und im Juni die Georg-Schwarz-Str. 11 ersteigern und mit der Sanierung beginnen.