Der kreuzer berichtet über (u.a.) unsere Hausprojekte

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In der aktuellen September-Ausgabe des Leipziger Stadtmagazins kreuzer ist ein größerer Bericht über die wachsende Anzahl an kollektiv verwalteten Hausprojekten in Leipzig erschienen, in dem wir als ausführlich beschriebenes Beispiel fungieren.

Dieser Artikel geht indirekt auf einen Text im April-kreuzer zurück, in dem verschiedene „gemeinschaftliche“ Hausbesitzmodelle nebeneinander gestellt wurden. Nach dessen Erscheinen ging beim kreuzer ein Leserbrief ein, in dem „mehrere Leipziger beschrieben, sich in der Geschichte nicht wiederzufinden, obwohl auch sie in ein Bauprojekt involviert sind“, wie es im aktuellen Editorial des Magazins heißt. „Der Grund: Die Trennlinie zwischen dem Schaffen von Privateigentum und dem Erhalt günstigen Wohnraums durch Kollektiveigentum war ihnen nicht scharf genug gezogen worden.“

Auch wir gehörten zu den Leserbriefschreiber_innen und freuen uns deshalb über den folgenden gelungenen Artikel von Thyra Veyder-Malberg, der hier auch als PDF inklusive Ausschnitten aus Titelseite, Editorial und Inhaltsverzeichnis zu finden ist.

kreuzer 09/12
Hausprojekt, sweet Hausprojekt
Immer mehr Menschen in Leipzig schaffen sich ihren Wohnraum, indem sie im Kollektiv Häuser kaufen und sanieren
Thyra Veyder-Malberg

„Hier soll eine schön große Küche entstehen“, sagt Tobias Bernet und zeigt auf ein trauriges Häufchen Bauschutt, das einmal eine Wand war. Der Raum ist durch ihr Fehlen tatsächlich groß geworden, allein für die Vorstellung einer Küche braucht es auf der Baustelle in der Georg-Schwarz-Straße 11 noch etwas Fantasie. Dafür gibt es auf dem Rundgang durch das Haus alte Türen sowie original erhaltene Jugendstil-Treppengeländer und Bemalungen zu bestaunen – und eine unfassbare Auswahl an schauerlichen Tapeten aus den frühen neunziger Jahren. Besonders gut befreundete Gäste, erzählt Tobias, dürfen dann auch mal selbst eine Wand einreißen.

Bernet ist Teil einer zwölfköpfigen Gruppe, die in der Georg-Schwarz-Straße ein sogenanntes Hausprojekt ins Leben gerufen haben. Die Idee dahinter ist simpel: Eine Gruppe meist recht junger Menschen kauft gemeinsam ein altes Haus, saniert es nach ihren Vorstellungen und wohnt darin. Doch das Haus selbst gehört nicht einzelnen Personen, sondern ist im Kollektivbesitz und wird kollektiv verwaltet.

In diesem speziellen Fall hat die Gruppe eine GmbH gegründet und nicht nur dieses Haus, sondern gleich zwei weitere samt Hinterhaus inder Merseburger Straße gekauft. Um den Kauf und die Sanierung der Objekte zu finanzieren, hat sie eine Reihe von niedrig verzinsten Privatkrediten aufgenommen: bei Freunden oder der Oma. Verwaltet wird alles von Hausvereinen, die die Häuser von der GmbH pachten. Die Bewohner zahlen eine niedrige Miete, aus der das Haus erhalten und die Pacht bezahlt wird. Die GmbH nutzt ihrerseits ihre Einnahmen, um die Kredite wieder abzuzahlen.

Diese komplizierte rechtliche Konstruktion soll stabile Rahmenbedingungen für den Hauserwerb schaffen, ohne die Bewohner zu fest an das Projekt zu binden. Sie können kommen und gehen, ohne gleich das ganze Projekt zu gefährden. So soll dauerhaft bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden.

Doch es geht den Bewohnern auch darum, ihr Umfeld selbst gestalten zu können – viele engagieren sich in Kulturprojekten im Stadtteil und wollen verhindern, dass ihre Arbeit letztlich dazu führt, dass sie, wenn sich das Viertel entwickelt, „wegsaniert“ werden. Deshalb halten sie auch die Wächterhäuser – bei aller Wertschätzung für die Arbeit des Vereins Haushalten – für ein Auslaufmodell. „Da steckt man jahrelang Arbeit in ein Haus, und dann kommt der Eigentümer und sagt: Danke, aber das sanieren wir jetzt mal ordentlich, und man selbst fliegt raus“, sagt Bernet kopfschüttelnd.

Michael Prilop und Stefan Kurth sind da, wo die Gruppe aus der Georg-Schwarz-Straße erst noch hinwill: Sie sitzen im Gemeinschaftsraum ihres frisch sanierten Hausprojektes. Ganz fertig ist der Raum unterm Dach der Zollschuppenstraße 11 noch nicht, aber ein paar Sofas haben den Weg hier herauf schon gefunden, zwischen den hölzernen Stützbalken des Dachstuhls hängen Hängematten und aus den riesigen Dachfenstern kann man bis nach Grünau sehen.

Zehn Erwachsene – meist Akademiker und Selbstständige – und drei Kinder leben hier permanent, dazu kommen viele Dauergäste. Das Ladengeschäft im Erdgeschoss ist Sitz des Zollschuppenvereins, der für die Wiederbelebung der einst von der Stadt zum Abriss freigegebenen Straße kämpft, außerdem stehen die Räume für kulturelle Projekte offen.

Einmal die Woche trifft sich die Hausgemeinschaft zum Plenum. Hier wird Organisatorisches geklärt, Beschlüsse fallen immer im Konsens. Das ist allerdings nicht so kompliziert, wie es klingt, versichern Stefan Kurth und Michael Prilop: „Konsens heißt meistens: Alle können damit leben. Wenn jemand dagegen ist, versucht man eine Lösung zu finden.“

Vieles war allerdings schon im Vorfeld geklärt, vor allem was den Bau anbelangt. Schließlich hat sich die Gruppe um das Projekt gesammelt, wer andere Vorstellungen hatte, hat eben nicht mitgemacht. Übrigens dreht sich bei den Plenen nicht alles ausschließlich um die Organisation des Hauses – es gibt auch „Wohlfühlplena“, wie sie Kurth nennt, bei denen die Gruppe einfach nur so zusammensitzt, um Zeit miteinander zu verbringen.

Die Sanierung der Zolle 11 war relativ teuer, rund 300.000 Euro hat die Gruppe veranschlagt und inzwischen größtenteils auch ausgegeben. Der Löwenanteil der Summe ist in die energetische Sanierung geflossen, inzwischen ist das Haus rundum gedämmt, hat eine Pelletheizung im Keller und Solarpaneele auf dem Dach. Dafür gab es von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) einen sehr günstigen Kredit.

Außerdem hat sich die Hausgruppe dem Mietshäusersyndikat angeschlossen. Das ist ein Zusammenschluss aus inzwischen bundesweit über 50 Hausprojekten, die sich gegenseitig unterstützen, dabei aber verhältnismäßig unabhängig voneinander bleiben. Das funktioniert so: Das Syndikat wird neben dem Hausverein Gesellschafterin der jeweiligen Haus-GmbH, bringt dafür Geld mit und vermittelt neben Know-how auch bei Bedarf Privatkredite an die GmbH, mit denen Hauskauf und –sanierung finanziert werden können. Geschäftsführer der GmbH ist aber der Hausverein, der auch weiterhin alles Wichtige regelt. Das Syndikat bekommt lediglich ein Vetorecht, das verhindert, dass das Haus jemals wieder dem Markt zugeführt werden kann. 

Bisher ist die Zolle das einzige fertig umgesetzte Syndikatsprojekt in Leipzig, aber Stefan Kurth erzählt, dass rund 10 Gruppen in verschiedenen Planungsstadien überlegen, dem Syndikat beizutreten. Überhaupt ist in Leipzig seit etwa 2009 ein Trend zum Hausprojekt zu verzeichnen. „Als wir angefangen haben, waren wir hier im Westen eines der ersten Projekte“, sagt Michael Prilop, „aber inzwischen habe ich das Gefühl, die schießen wie Pilze aus dem Boden.“

Das gilt vor allem für den Leipziger Westen, inzwischen dehnt sich die Entwicklung auch in den Osten aus. Nur im Süden der Stadt tut sich wenig. „Connewitz ist dicht“, sagt Micha Schmieder und meint damit, dass die Immobilienpreise im Stadtteil für derlei Projekte längst unerschwinglich geworden sind. Er sitzt mit zwei Mitstreitern im Büro der wohl ältesten Leipziger Institution unter den Hausprojekten, der alternativen Wohngenossenschaft Connewitz (AWC) – und auch in deren Aufsichtsrat.

Insgesamt 14 Objekte verwaltet die Genossenschaft, in denen etwa 150 Menschen wohnen. Manche Häuser sind riesige WGs mit nur einer Küche, andere sind in normale Wohnungen unterteilt. Die Miete, die die Bewohner an die Genossenschaft zahlen, ist aber durchgehend sehr günstig, da sie auf Kostendeckung und nicht auf Gewinn zielt. Dafür wird aber von den Bewohnern erwartet, dass sie ihre Häuser selbst in Stand halten.

Der Großteil der AWC-Häuser war in den frühen neunziger Jahren besetzt und wurde nach Verhandlungen mit der Stadt und den Eigentümern legalisiert. Die Genossenschaft wurde 1995 von den Besetzern gegründet, um stabile Eigentumsverhältnisse zu ermöglichen. Im Sommer 1996 beschloss dann der Stadtrat, der Genossenschaft für eine Reihe von Objekten, die sich rund um die Stockartstraße gruppieren, Erbbauverträge über 30 Jahre zuzubilligen. Einige der Immobilien hatte die Stadt erst kurz zuvor erworben.

Die Connewitzer Projekte sollten gefördert werden, argumentierte die Stadtverwaltung damals, „weil sie ein unverzichtbares, prägendes und wichtiges Element unserer Stadt sind und weil eine Stadt von der Vielfalt ihrer Bürgerschaft lebt und dafür Sorge zu tragen hat, dass alle Raum haben (…)“. Die Fördermittel zur Sanierung, die der Stadtrat damals ebenfalls beschlossen hatte, sind aber, so erzählen es die Genossenschaftler, trotzdem nie geflossen. Doch alleine die Existenz der AWC sorgt im inzwischen teuer gewordenen Connewitz für etwas mehr Vielfalt.

Die Hausbesetzungen in den Neunzigern klingen um einiges wilder als die kreuzbraven Geschichten von Kreditaufnahme und Häuserkauf, die man heute im Westen hört. Doch die Idee ist dieselbe: „Dass damit Profit gemacht wird, dass der Mensch nun mal ein Dach über dem Kopf braucht, ist doch voll der Hass“, sagt Schmieder. Deshalb rät die AWC allen Gruppen, die bei ihr Rat suchen, dazu, ihre Immobilien durch Kauf zu sichern. 

Allerdings ist das ein großer Schritt, das wissen auch die Leute in der Georg-Schwarz-Straße. Sie erzählen, dass sie erst einmal lange versucht haben, andere Hausgruppen für ihre 11 zu begeistern, bevor sie es sich selbst zugetraut haben, das Projekt zu stemmen. Selbstvertrauen gibt ihnen auch das gute Netzwerk zwischen den zahlreichen Hausprojekten, die den Neulingen mit Rat und Tat zur Seite stehen: „Was auch immer wir für ein Problem haben, es gibt immer mindestens zwei Projekte, die dasselbe Problem auch schon hatten und gelöst haben“, sagt Roman Grabolle, der ebenfalls zur Hausgruppe gehört, zuversichtlich. Da ist es dann auf einmal nicht mehr unvorstellbar, als Gruppe ein ganzes Mietshaus zu kaufen. Oder gleich drei. Fortsetzung folgt.

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