Berichte über West-Leipziger Hausprojekte und die Georg-Schwarz-Straße in LVZ und ARD

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Erneut ist die wachsende Zahl an alternativen Wohnprojekten in unserer näheren und weiteren Umgebung zum Gegenstand medialer Berichterstattung geworden. Nachdem der kreuzer unser eigenes Projekt in den Mittelpunkt gestellt hatte, freuen wir uns, das diesmal u.a. unseren geschätzten Nachbar_innen von der „KunterBunten19“ wohlverdiente Aufmerksamkeit zuteil wird.

Zunächst widmete die Leipziger Volkszeitung den „neuen Wohnformen“ eine ganze Seite. Die „19“ und vor allem das Projekt Naumburger Straße 5 werden sympathisch vorgestellt, die rechtlichen Modelle und ihre antispekulativen Ziele treffend erklärt – alles keine Selbstverständlichkeit in der oftmals erzkonservativen LVZ… Auch wir werden kurz erwähnt, da Central-LS-Mitgründer Roman als Hausprojekt-Experte hinzugezogen wurde. Die ganze Seite kann hier als PDF heruntergeladen werden. Unten dokumentieren wir wie üblich den gesamten Text.

Kurz darauf fiel ein MDR-Kamerateam in der Georg-Schwarz-Straße ein, besuchte ebenfalls die „KunterBunte19“ sowie den kunZstoffe e.V., u.a. in dessen Laden in unserer Georg-Schwarz-Str. 11. Der daraus entstandene Beitrag, der im ARD-Mittagsmagazin gesendet wurde, findet sich hier.

 

LVZ, 19. Oktober 2012
Wohnformen in Leipzig: Wie junge Familien und Studenten auf neuen Wegen zu Eigentum kommen

Mit 22 Jahren schon eigene vier Wände
Kollektivhaus statt Eigentumswohnung: Immer mehr junge Leipziger gründen Gemeinschaftshäuser, 20 Projekte gibt es schon in der Stadt.
Clemens Haug

Lisa Wolf schüttet den Eimer mit dem Gemisch aus alten Steinen und Mörtel in die Schuttrutsche. Es rumpelt, dann tritt eine Staubwolke am unteren Ende aus. Wie ein Film hat sich eine feine Schicht Sand über den Innenhof der Naumburger Straße 5 gelegt, überzieht Baugeräte, Bäume und Fahrräder. Nächster Eimer, noch mal rumpelt es, die nächste Staubwolke erhebt sich, so geht das hier den ganzen Tag. Eine Hauserneuerung ist dreckige Arbeit, doch Wolf macht das nichts aus. Für die eigenen vier Wände stürzt sich die 22-jährige Studentin gerne in den Schmutz.

Hier in der Naumburger Straße entsteht auf 600 Quadratmetern ein Hausprojekt, auch Kollektivhaus genannt. Sieben junge Menschen haben sich zusammengeschlossen und den Altbau gemeinsam gekauft. Von der Partie sind neben Lisa Wolf eine Heilpädagogin, ein Doktorand, ein Ingenieur, eine Zahntechnikerin, ein Islamwissenschaftler und eine Fremdsprachenübersetzerin. Die Instandsetzung läuft seit diesem Sommer, in eineinhalb Jahren sollen die Wohnungen bezugsfertig sein.

Im Leipziger Westen gibt es einen kleinen Boom solcher Projekte: Etwa 20 Vorhaben sind in den vergangenen sechs Jahren entstanden, von Jahr zu Jahr kommen weitere hinzu. Inzwischen schwappt die Bewegung in den Leipziger Osten, wo mit dem Pögehaus, dem KlausHaus und WohnSinnOst neue Projekte gestartet wurden. Man darf die Vorhaben nicht mit den Wächterhäusern verwechseln: Statt vorübergehenden Zwischennutzungen wollen die Kollektivhäuser durch den Kauf langfristig günstige Wohn- und Arbeitsräume bieten. Im Unterschied zu gewöhnlichen Baugemeinschaften werden die Mitglieder der Hausgruppen später nicht zu Einzeleigentümern ihrer Wohnungen. Stattdessen wird die komplette Immobilie kollektives Eigentum der Hausgemeinschaft.

Kollektiveigentum klingt kompliziert. Doch die Gruppe in der Naumburger Straße hat ein altbekanntes und bewährtes Modell gewählt: Die sieben Leute gründeten eine Genossenschaft. Rund 75 000 Euro haben sie bezahlt – für das Haus, Maklergebühren, Grunderwerbssteuer und ähnliches. Die Instandsetzung wird noch einmal mit rund 330 000 Euro zu Buche schlagen. Dafür haben die Genossen eigene Ersparnisse mobilisiert und Geld von Familien und Freunden geliehen. Der Großteil der Finanzierung wird durch einen Bankkredit gedeckt. Zudem gibt es Fördermittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), weil das Haus energetisch saniert wird. Die Gruppe ist bei den Arbeiten nicht auf sich gestellt, sondern wird von einem Architekten und professionellen Handwerkern begleitet. Die Kosten sollen über die Miete wieder eingenommen werden. Rund 4,50 Euro pro Quadratmeter wird ein Zimmer kosten. Neben den Gründungsgenossen ist noch Platz für weitere Mitbewohner, die Genossenschaftsmitglieder werden können, es aber nicht müssen.

Wie kam es zum Boom bei den Gemeinschaftshäusern? Roman Grabolle hat einen guten Überblick über die Projekte, wohnt selbst in einem benachbarten Kollektivhaus und ist bei der Wohnungsgesellschaft „Central LS W 33“ aktiv. Hinter der verbirgt sich ein Projekt, das drei Häuser umfasst: die Georg-Schwarz-Straße 11 sowie die Merseburger Straße 102 und 104. „Die ersten Hausprojekte haben anderen gezeigt: Schaut, es ist möglich, gemeinsam ein Haus zu kaufen oder zu pachten und instand zu setzen.“ Das mache Mut.

Zwar sind die Zeiten vorbei, in denen Altbauten für Spottpreise die Besitzer wechselten. Doch immer noch gibt es erschwingliche Objekte in Leipzig. „Es gibt ein vielfältiges, buntes Leben in der Stadt und eine Aufbruchstimmung gerade unter jungen Menschen. Deshalb wollen viele Leute gerne hier bleiben.“ Gemein ist allen Kollektivhäusern, dass künftige Mieten nur der Finanzierung des Erwerbs und dem Unterhalt dienen – nicht dem Profit eines Vermieters.

Dadurch, dass es inzwischen eine ganze Landschaft dieser Hausprojekte gibt, ist eine Szene entstanden. Die Aktiven treffen sich regelmäßig bei Kulturveranstaltungen, die oft in den Häusern selbst stattfinden. Sie unterstützen sich gegenseitig mit Ratschlägen zu rechtlichen Fragen sowie mit Werkzeug und Baumaschinen. „Es hilft enorm, wenn man Leute kennt, die ein Problem auch schon mal hatten und es gelöst haben“, sagt Grabolle. Es gibt regelmäßige Vernetzungstreffen und einen E-Mail-Verteiler für aktuelle Informationen.

Eine Besonderheit der Hausprojekte ist das junge Alter der Aktiven. Mit 22 Jahren ist Lisa Wolf in der Naumburger Straße 5 zwar die jüngste. Älter als 35 ist hier aber niemand. „Viele Familien mit kleinen Kindern schrecken noch oft vor Hausprojekten zurück, weil die kollektive Struktur verlangt, dass man viel Zeit dafür mitbringt, sich mit den anderen abzustimmen“, erzählt Grabolle. Dennoch ist es bemerkenswert, dass sich die Studentin Wolf in jungen Jahren ein Haus ans Bein bindet. Denn wer weiß, wie die Zukunft aussehen wird? Die 22-Jährige sieht das sehr entspannt. „Natürlich kann es gut sein, dass ich bald woanders weiter studiere und arbeite“, sagt sie. Aber weil das Haus aber im Eigentum der Gruppe sei, könne  Verantwortung an Nachfolger abgegeben werden. Das selbstbestimmte Wohnen und die vergleichsweise günstige Miete würden sicherstellen, dass sich immer wieder neue Mitstreiter fänden, da ist sie sich sicher.

 

„Kunterbunte 19“ setzt auf Syndikat
Angelika Raulien

Eine Sonderform der Kollektivhäuser ist das Mietshäuser-Syndikat, Ende der 1980er-Jahre in Freiburg/Breisgau entstanden. Von heute bis Sonntag hält das Syndikat seine bundesweite Mitgliederversammlung in der Leipziger Baumwollspinnerei ab. Fünf Mitglieder gibt es hier bereits, erzählt Stefan Kurth, Leipziger Regionalverantwortlicher des Mietshäuser-Syndikats. Die Zolle 1 und 11 in der Zollschuppenstraße, MetaRosa in der Markranstädter Straße, Wohnsinn Ost im Täubchenweg. Und das Neue Soziale Zentrum, dem es aber noch an einem Objekt mangelt.

Das Syndikat, ein Solidarverbund, beruht auf einer nichtkommerziellen Beteiligungsgesellschaft, versteht sich als Antwort auf steigende Mieten. Der Verbund will Immobilien mit den Bewohnern kaufen und sie so vor dem gewinnorientierten Marktzugriff bewahren.

Es wollen noch mehr Leipziger Mitglied im Syndikat werden – zum Beispiel die „Kunterbunte 19“, eine Mehrgenerationentruppe aus der Georg-Schwarz-Straße 19. Das Haus, das sie sich vorgeknöpft hat, ist Baujahr 1888. „Eines der ältesten hier weit und breit“, sagt Mitinitiator Klaus Schotte. Die alten Ziegel halten noch. Die Fassade des Hauses sieht aber jämmerlich-ruinös aus. Ganz hoch droben ist immerhin schon ein Handwerkerteam dabei, ihm noch vorm Winter ein frisches Dach überzuziehen. Alle kümmern sich mit um die Sanierung – je nachdem was ein jeder kann. Zwölf Mitstreiter zwischen 20 und 56 Lenzen zählen dazu. Zwei Kinder und ein Hund auch. Familien, Singles, Lebensgemeinschaften – allesamt wollen sie in zwei Jahren einziehen. Allesamt sind nicht gerade vermögend – und von einem Schlag: „Wir alle stehen hinter der Idee“, sagt Schotte.

Gregor Wetzel (30) ist so einer, der dahinter steht. „Ich wohne momentan in einer WG, suche aber etwas, wo ich langfristig bleiben kann. Mir gefällt, dass du von Anfang an mitbestimmen kannst, wie dein künftiges Quartier aussehen soll. Und dass dich später keiner rausschmeißen oder plötzlich mal die Miete erhöhen kann“, erzählt Wetzel – von oben bis unten ziemlich eingestaubt nach einem Feuerzeug fingernd, um dem abendlich einströmenden Dunkel im Haus mit etwas Kerzenlicht zu kontern. Strom gibt es hier noch nicht.

Erst im Frühjahr hatte die künftige Bewohner-Crew das Objekt mit den zwei kleinen Läden im Erdgeschoss bei einer Zwangsversteigerung günstig erworben. „Zuletzt hatte es wohl gut 15 Jahre leer gestanden“, winkt Schotte ab. „Jedenfalls haben wir erst mal aus allen Etagen Müll ’rausgeschafft.“

Aber wo kommt das Geld her, damit die Träume von den Domizilen, von Gemeinschafts- und Etagenküchen, Gästezimmern und Kammerkonzerten im Kellergewölbe jemals reifen? „Also“, holt Klaus Schotte Luft, „wir hoffen, dass wir am Wochenende Syndikat-Mitglied werden. Eine Voraussetzung haben wir erfüllt, nämlich einen Hausverein gegründet.“ Das Syndikatmodell funktioniert dann so, dass eine GmbH entsteht, die zwei gleichberechtigte Gesellschafter hat: Verein und Syndikat. „Im Gegensatz zu den so genannten Selbstnutzer-Wohnformen, die meist eine Genossenschaft gründen, kann man hier mit null Cent auch einsteigen“, hakt Gregor Wetzel ein. „10 000 Euro in eine Genossenschaft einzahlen – das könnte ich mir gar nicht leisten.“

Die Männer loben den Netzwerkgedanken hinter dem Syndikat, das derzeit 63 Hausprojekte und 25 derartige Initiativen in ganz Deutschland unterhält. „Da ist viel an Erfahrung da, die wir nutzen können – gerade was die Finanzierung, die Buchhaltung oder rechtliche Fragen betrifft“, sagt Schotte.

„Gruppen, die selbstorganisiert – und untereinander gleichberechtigt – sozialgebunden Wohn- und Arbeitsraum schaffen oder sichern wollen, beraten wir in unserem Netzwerk gern“, betont Syndikat-Regionalzuständiger Stefan Kurth und stellt auch noch klar: „Die Schaffung von privatem Eigentum unterstützen wir nicht.“

Gleichwohl kann jedes neue Syndikatmitglied vom Solidargedanken des Verbundes profitieren: Bestehende Mitgliedsprojekte zahlen quasi einen Soli-Beitrag, um so den Neuen quasi kollektiv auf die Beine zu helfen – etwa mit der nötigen GmbH-Einlage.

Nichtsdestotrotz braucht es in der Anschubphase bei den Lindenauern noch rund 100 000 Euro, um Sanierung, Innen- und Ausbau voranzubringen. Schotte und Wetzel feixen: Ersterer von Haus aus Stadtplaner, letzterer Insolvenz- und Schuldenberater – scheinen für derlei Fragen prädestiniert. Und erklären dann schlicht: „Wir haben einfach allen von unserer Idee erzählt“. Ach, und schon sei der Rubel gerollt? „Erstens muss man sagen, dass die Stadt Leipzig solchen Projekten offen gegenübersteht, froh ist, wenn alte Baustruktur erhalten wird. Daher hat sie eine erkleckliche Fördersumme beigesteuert. In Dresden etwa ist das nicht so“, weiß Schotte und deutet auf weitere Quellen – Fördertöpfe für Mehrgenerationenprojekte, Objektförderung für eine nachhaltige Heizung …

„Zudem haben wir Eltern, Bekannte, Freunde überzeugt, uns Direktkredite als Wertanlage zu geben. So richtig per Vertrag und mit Zinsen. Der Rest ist Eigenleistung. Wir mussten also für Phase eins erst mal keinen Kredit aufnehmen“, strahlt Wetzel. Und später würden alle ja auch stinknormal Miete zahlen, von der sich Instandhaltungen und bei Bedarf auch ein fälliger Direktkredit bedienen ließen. „Kalkuliert haben wir ,lauwarm‘ so 4,20 Euro pro Quadratmeter“, sagt Schotte. „Auf alle Fälle sollen unsere Mieten auch ALGII-sicher sein!“

www.syndikat.org

 

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